Konzert am 25. Mai 2019 in Passau


Der Mensch kann verbinden, aufbauen und verwandeln

 

Die brillante Akustik in dem schönen Konzertsaal des Pianohauses Mora, der klangvielfältige Konzertflügel von Bösendorfer, die vorzügliche Gastgeberin Frau Sorgatz, das interessierte Publikum und der hochmotivierte Künstler waren die Säulen für einen sehr inhaltsvollen, künstlerisch ausdrucksstarken und verbindenden Abend.

Die umgekehrte Sonne
Foto: © Robert Lindermayr

 

Das Konzert war der Förderung des Friedens unter Menschen und Völkern gewidmet und Robert Lindermayr begann den Abend mit einem Foto, das sozusagen eine umgekehrte Sonne darstellt:

 

Die Strahlen bewegen sich nicht von der Sonne hinweg.

 

Sie gehen auf sie zu.


Audio:

"Die Sonne"

Komponist: Stephan Wunderlich


 

Diese ungewöhnliche Sonnendarstellung bekommt einen ersten Sinn, wenn man sich an den Ausgangspunkt eines jeden Strahls einen Menschen denkt, der so aktiv, so verbindend, so lebens- spendend und aufbauend wirkt wie die Sonne im Großen. Er trägt damit auf individuelle Weise zu einer Vermehrung der lebensspendenden Aktivität der Sonne bei.

Auf das Thema der Förderung des Friedens bezogen ist es also der Mensch selbst, der den allerersten Ansatzpunkt bildet. Er ist es, der durch seine Haltung, durch seine gelebten Werte und seinen gebildeten Charakter unmittelbar friedensfördernd auf andere Menschen wirken kann. Diesen Gedanken kennt der Volksmund, der sagt: „Der Frieden muss im Menschen selbst beginnen.“ Auch die beiden großen deutschen Denker und Dichter Friedrich Schiller (1759-1805) und Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) drücken dies aus:

 

„Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden." (Schiller)

„Ich bin ein Kind des Friedens und will Friede halten für und für mit der ganzen Welt, da ich ihn einmal mit mir selbst geschlossen habe.“ (Goethe)

 

Nun stellt sich unweigerlich die Frage, was der Mensch praktisch tun kann, damit er diese ersehnte friedensstiftende Kraft in sich heranbildet.

 

Ein Beispiel für einen Menschen, der solch eine Kraft im Sinne der „Gewaltlosigkeit“ in sich ausgeprägt hatte, ist Gandhi (1869-1948). Wenn er zu gewaltlosem Widerstand gegen die Engländer aufgerufen hat, dann war das nicht nur als äußeres Wort, als Appell an seine indischen Landsleute gerichtet. Die Qualität der Gewaltlosigkeit war bei ihm zutiefst eigen gewordene Haltung. Sie war Teil seines Wesens. Sie war sozusagen sein Zentrum. Wenn er zur Gewaltlosigkeit aufrief, dann war dies ein Wort mit Kraft, weil er sie authentisch und mit seiner ganzen Person lebte.

 

Wie wird solch ein Wert, solch eine edle Eigenschaft ein authentischer, natürlicher Teil von uns?

 

Zur Beantwortung dieser zentralen Frage entführte Robert Lindermayr das Publikum musikalisch nach Indien. Diese Kultur brachte zahlreiche Lieder und Mantren in der alten Sprache Sanskrit hervor.


Das Lied wendet sich an Jagadishvara:
"Herr der Welten, ewig aus reinen Gedanken bestehend, du höchstes Sein, ich verbeuge mich immerfort vor dir."

 


 

Es gibt ein sehr altes vedisches Mantra, dessen erste Zeile nach Aussage des Künstlers einen ganz wesentlichen Baustein zur weiteren Beantwortung geben kann. Die Worte lauten:

 

Asato ma sat gamaya

 

Sat bezeichnet das „Sein“ und asat das Gegenteil, das „Nicht-Sein“. Wörtlich übersetzt bedeutet die Zeile:

 

„Vom Nicht-Sein führe mich ins Sein“

 

Was ist das Sein und was das Nicht-Sein?
Der zentrale Punkt liegt in der Fähigkeit des Menschen zu denken. Was scheinbar banal klingt, entfaltet doch eine ungeheure verwandelnde Wirkung, wenn der Mensch dies nur bewusst einsetzt.

 

Er kann einen Gedanken, ein Ideal erwählen und denken. Er kann sich darüber Vorstellungen bilden, damit arbeiten und schließlich etwas schaffen, das bisher für ihn noch nicht existent war. Was vor seiner Aktivität für ihn persönlich nicht im Sein war - asat - nicht existierte, das kann er ins Sein - sat - führen.

 

Zusammen mit dem Publikum praktizierte Robert Lindermayr dieses denkende Schaffen. Dabei rezitierte er einige Mal das Mantra und jeder Einzelne aus dem Publikum dachte bewusst die Wörter asat und sat. Gewissermaßen wie mit Schreibschrift in die Luft geschrieben wurden die Begriffe in die Geburt gebracht. Die Konzentration nahm in diesem Moment merklich zu und man konnte etwas von den Möglichkeiten erahnen, die der Mensch besitzt. Durch die Aktivität aller Beteiligten wurde etwas Neues in den Raum hineingeschaffen, das bisher noch nicht anwesend war.


"Asato ma sat gamaya"

Mantra aus der vedischen Zeit

ca. 1000 v. Chr.


Noch weitere indische Lieder kamen in dieser Phase des Konzerts zur Aufführung:

Vande satcitananda und Tvam eva mata.

 

Daran anschließend folgten drei Sätze aus der Partita I in B-Dur von Johann Sebastian Bach (1685-1750). Der Musiker und Vortragende stellte den Gedanken vor, dass Bach die Melodie des Präludiums entwickelte, indem er sie vom Grundton B ausgehend nach oben führt, Schritt für Schritt mit kleinen Zwischenbewegungen, und schließlich als Ziel den Oktavton, ebenfalls B, erreicht. Der Grundton erreicht damit sich selbst wieder, nur eben in einer höheren Lage.

 

Robert Lindermayr Konzert 25.5.19
Foto: © Martin Sinzinger

Hinführung zur Idee der Bach-Partita


Dieses Sichwiederfinden auf anderer Ebene stellte er nun in Bezug zu einer Aussage von Rudolf Steiner (1861-1925), dem Begründer der Anthroposophie. Nach ihm ist das innere Erleben des Oktavintervalls vergleichbar mit dem wirklichen Ankommen in der Realität einer Sache oder eines anderen Menschen. Es ist ein Bild des Sich-erkennens im Anderen und drückt damit eine hohe friedensstiftende Qualität aus.

Rudolf Steiner benennt diese enorme erbauende Wirkung in seinen sogenannten Wahrspruchworten auf folgende Art:

„Im Menschen sich schauen, heißt Welten erbauen.

 

Auch im 2. und 3. Satz der Partita, in der Allemande und der Corrente, arbeitete Bach mit dieser Idee der melodiösen Oktaventwicklung.


"Praeludium"

J. S. Bach, Partita I in B-Dur, 1. Satz


"Allemande"

J. S. Bach, Partita I in B-Dur, 2. Satz


"Corrente"

J. S. Bach, Partita I in B-Dur, 3. Satz


Aus dem Text „Wo lebt der freie und würdevolle Mensch, der zum Friedensstifter wird“ stellte Robert Lindermayr dem Publikum nun den ersten Teil vor.

 

Die Worte stammen von Heinz Grill (*1960), der in Italien lebt und als spiritueller Lehrer, Philosoph, Referent und Kletterer tätig ist. Sein Text stellt tiefgründige Fragen zum Thema, die sehr anregend sind und den Leser zum aktiven Nachdenken auffordern.

 

Gute Fragen, die man sich stellt und sie vor allem denkend erschafft, können der Ausgangspunkt einer Entwicklung sein.

Robert Lindermayr
Foto: © Martin Sinzinger

 

Wo lebt der freie und würdevolle Mensch,

der zum Friedensstifter wird?

 

Denke ich wirklich den Frieden unter Menschen und Staaten in seiner idealsten Vorzüglichkeit? Ersinne ich die friedvolle Kultur in tatsächlicher Ernsthaftigkeit und Klarheit oder träume ich nur in schönen Erwartungshoffnungen?

 

Mutet es meinem Herz an und wagt es tatsächlich ein friedvolles

und inhaltsreiches Wirken in der Welt als Realität zu manifestieren? Wohin strebt die Gabe meiner dürstenden Seele? Gleitet sie in den Schicksalslauf der Emotionen oder erhebt sie sich zu einem aufrichtigen, empathischen Fühlen?

 

Existiert ein tiefster Wille in meinem Wesen, der unaufhörlich nach dem freien und würdevollen Menschen strebt, der mit unersättlichem Hunger seine mutige Moralität und ästhetische Vision zu erfüllen sucht? Bevorzuge ich die Privilegien der gegenwärtigen Staatssysteme mehr als das profunde Rechtsleben und die Würde des Menschen?

 

Wo lebt der freie und würdevolle Mensch,

der zum Friedensstifter wird?


"Morgenstimmung"

Edward Grieg, Peer-Gynt-Suite Nr. 1

op. 46, 1. Satz


Einen sehr persönlichen Beitrag gab der Künstler durch die Darbietung der Eingangsmusik und des Tanzes der 4 kleinen Schwäne aus dem Ballett Schwanensee.

 

Mit dieser Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893) brachte er den Wunsch zum Ausdruck, dass die Länder Russland und Deutschland in ein klares und gutes Verhältnis finden mögen. Hier kann nach seiner Meinung jeder Einzelne einen Beitrag leisten, indem er sich eigenständig Gedanken und Urteile bildet. Tut er dies nicht ausreichend, dann ist es wohl un-vermeidlich, dass er Manipulationen und sogar Lügen, z.B. über Russland und seine Politiker erliegt.

Die friedensstiftende Kraft erfordert immer eine hohe Aktivität des Individuums. Diese ist heutzutage auch in Bezug auf Berichte in den Zeitungen und im Fernsehen herausgefordert und es lohnt sich, einmal in mühevoller Arbeit die wirklichen Fakten und Tatsachen zu einem Thema selbst zu recherchieren, anstatt ungeprüft jede Meinung zu übernehmen, die einem durch die Medien vorgetragen wird.

Am Ende der Veranstaltung spielte Robert Lindermayr spontan auf Wunsch des Publikums noch Menuett I und II aus der Partita in B-Dur von Bach.


"Menuet I und II"

J. S. Bach, Partita I in B-Dur, 5. und 6. Satz


Robert Lindermayr Konzert
Foto: © Martin Sinzinger

Mit einem herzlichen und warmen Applaus ging ein Abend zu Ende, der für alle Beteiligten durch das Zusammenwirken, das Interesse und die gemeinsame Aufmerksamkeit auf das Thema und die Musik verbindend war.

 

Es war an dem Abend erlebbar etwas Verbindendes unter Menschen entstanden und Dankbarkeit erfüllte den Konzertsaal.

 

7. Juni 2019, Robert Lindermayr